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Supply-Chain-Management:

„Das Thema wird in naher Zukunft enorm explodieren“

Mit dem Mainframe groß geworden, beschränkt sich die Unisys Corporation schon längst nicht mehr auf ihr altes Stammgeschäft. Das Unternehmen, das 1997 einen Konzernumsatz von weltweit 6,64 Milliarden US-Dollar erzielte, hat sich mit den drei Geschäftsbereichen Computer Systems, Information Services und Global Customer Services zunehmend anderen IT-Feldern geöffnet. Über aktuelle Entwicklungen im Supply-Chain-Management-Umfeld und den Unisys-Vorstoß in diesen Wachstumsmarkt sprach Harald Lutz im Auftrag des Fördermittel Journals mit Claus Engel, Leiter des Bereichs Information Services, Commerce and Industrie, der Unisys Deutschland GmbH.

Supply-Chain-Management (SCM): Am Anfang steht eine Analyse, das Supply Chain Opportunity Assesment. In ihr geht es darum, das Optimierungspotential zu definieren, etwa eine Bestandsreduzierung um 30 Prozent oder eine Liefergenauigkeit von mehr als 95 Prozent.

Redaktion H.Lutz: Welches waren Ihre treibenden Motive, sich auf dem neuen Markt Supply-Chain-Management (SCM) zu engagieren?

Engel: Wir haben uns mit den sog. ERP- und PPS-Systemen schon relativ lange beschäftigt. Diese Softwarelösungen beruhen auf einem über 25 Jahre alten Konzept mit dem Namen MRP II. Dieses Konzept birgt entscheidende Defizite hinsichtlich schneller entscheidungsorientierter Informationen. Über alle Anbieter hinweg, sind das operative Systeme, die sehr schwerfällig in ihren Regelkreisen arbeiten. Andererseits werden die Unternehmen heute in ihrer logistischen Kette mit Fragestellungen konfrontiert, die eine schnelle Beantwortung erfordern, zum Beispiel Lieferant A ist ausgefallen, Zentrallager B ist überflutet worden oder Kunde C möchte nicht eine Million, sondern zwei Millionen Einheiten geliefert bekommen. Um den Firmen zu helfen, solche Situationen rasch in die eigene logistische Kette einzuplanen, haben wir aktuell ein europaweites Supply-Chain-Management-Programm mit der Ausgangsposition in Deutschland aufgelegt.

____ Worin sehen Sie die Hauptdefizite marktgängiger Warenwirtschafts-, PPS- oder ERP-Systeme im Management der logistischen Kette?

Engel: Wir müssen uns vergegenwärtigen, wie dieses über 25 Jahre alte Konzept MRP II mit fest definierten Schritten, Konzepten und Phasen abläuft. Jeder dieser einzelnen Schritte ist für sich ein Regelkreis. Man optimiert zunächst den „Master Production Schedule“. Wenn dieser fertig ist, werden die Läger berücksichtigt, anschließend macht man eine Stücklistenauflösung etc. Das ist zusammengenommen ein sehr langfristiger Prozess. Als ich mich in den siebziger Jahren zum ersten Mal mit diesem Thema beschäftigt habe, dauerte der Durchlauf des gesamten Zyklus noch 13 bis 14 Wochen. Heute hat das gleiche Unternehmen den Protzes auf zwei Tage reduziert. Das ist ein Riesenerfolg aufgrund relationaler Datenbanktechnologie und Onlinesystemen etc. Trotzdem gilt: Wenn Fragen für schnelle Entscheidungen gestellt werden, benötigt das Management die Antworten innerhalb von zehn Minuten. Deshalb braucht man einen Regelkreis, der sich über alle Informationen setzt. Ein kurzzyklisches Decision-Support-System ist gefragt, das intelligent ist, optimieren kann und Engpässe berücksichtigt.

____ Sie bieten keine eigenständige ERP- oder Decision-Support-Software an. Wie sieht das Unisys-Angebot für diesen Markt aus?

Engel: Man muss zwei Ausgangssituationen unterscheiden: Auf der einen Seite sind Unternehmen gerade dabei, ihre klassischen Altsysteme, die möglicherweise nicht Jahr-2000-fähig sind, durch eine Standardsoftware zu ersetzen. Hier greift unsere Partnerschaft mit Baan und Oracle. Auf der anderen Seite haben Unternehmen bereits entsprechende Standardsoftware im Einsatz oder verfügen über eigene Systeme, die Jahr-2000-fähig sind. Wenn ein solches Unternehmen in die Lieferkettenoptimierung einsteigen will, benötigt es ein Decision-Support-System. In diesem Fall kooperieren wir mit i2 Technologies. Die Aufgabe von i2 ist es, ihr Softwareprodukt Rhythm einzubringen; unsere Aufgabe besteht darin, das Projekt als Berater und Systemintegrator durchzuführen. Dabei machen wir zunächst eine entsprechende Analyse, ein sog. Supply-Chain-Opportunity-Assessment (SOA), um die Prozesse zu definieren, die optimiert werden sollen.

____ Was bringt Unisys darüber hinaus ein?

Engel: Etwa 70 Prozent der Informationen in den Unternehmen ist noch unstrukturiert und liegt nicht in den Datenbanken vor, die PPS-, ERP- oder Decision-Support-Systeme benutzen. Aber auch Texte, Dokumente, Bilder usw. werden für Entscheidungsprozesse benötigt. Wenn eine Firma beispielsweise Probleme mit einem Lieferanten hat, muss in den Vertrag hineingeschaut werden. Da nützen die Lieferantenadresse und sonstige Informationen rein gar nichts, die in der Datenbank abgelegt wurden. Unisys Information Services ist in der Lage, auch bei solchen Systemen integriert mit unstrukturierten Daten zu arbeiten. Wir haben Erfahrungen aufgebaut, wie man Dokumente einscannt oder aus bestehenden Internet-Files herausholt, um sie in solche Systeme mit einzubringen.

Zusammenfassend greift unsere Organisation der drei Geschäftsbereiche bei diesem Thema optimal. Neben der Systemintegration von Unisys Information Services benötigt man für die Durchführung der Optimierungsprogramme hochqualifizierte High-End-Server. Hier kommt unser Geschäftsbereich Computer Systems ins Spiel. Und schließlich muss eine sehr starke Vernetzung intern oder über Internet mit anderen Unternehmen aufgebaut werden, um einen virtuellen Unternehmenscharakter zu erzielen. Hier kommen Leistungen unseres Geschäftsbereichs Global Customer Services zum Tragen. Insofern ist Supply-Chain-Management für uns ein Geschäft, wo alle drei Geschäftsbereiche gefragt sind.

____ Die Einführung zusätzlicher Decision-Support-Software kostet Geld. Wann rechnen sich diese Investitionen?

Engel: Aus den Erfahrungen von i2 Technologies rechnen sich diese Investitionen bereits innerhalb eines Jahres, und zwar deshalb, weil die Supply-Chain-Management-Projekte stufenweise durchgeführt werden. Man konzentriert sich zunächst auf ein „Business-Release“, wie man das im Neudeutschen nennt. Einzelne Projekte dürfen nicht länger als sechs bis sieben Monate dauern. Man weiß, welche Einsparungen oder Vorteile mit dem Erreichen der Zielvorgabe zu erwarten sind. Wenn das erste Optimierungsziel erreicht ist, kann das nächste angegangen werden. Zum Beispiel: Im ersten Projekt wurde eine Liefertermintreue von 95 Prozent erreicht, anschließend geht es darum, die Bestände um 30 Prozent nach unten zu bringen

SCM-Architektur: Schwerpunkte von Unisys beim Supply-Chain(SC)-Management sind Beratung, Entwicklung und Implementierung eines SC-Modells sowie Systemintegration und Projektmanagement. Als Real Time Decission Support System (RTDS) und Kern von SCM-Lösungen setzt Unisys auf Software von i2 Technology.

Grafiken: Unisys
 

____ Wie groß ist der Markt bereits in diesem Bereich?

Engel: Ich kann Ihnen zur Stunde keine genauen Zahlen nennen. Das Thema Supply-Chain-Management ist noch so neu, dass es keine Untersuchung darüber gibt; wir ziehen andere Maßstäbe heran. So kennen wir beispielsweise die Budgets der Industrieunternehmen im IT-Bereich und wissen, wieviel man dort für Serviceleistungen ausgeben wird. Eine andere Größe ist das Wachstum der Softwareanbieter selbst. i2 Technologies beispielsweise wächst bei einer Verdreifachung des Umsatzes mit 200 Prozent pro Jahr. In den USA ist man wohl weiter als in Europa, aber auch etwas großzügiger mit der Definition von Supply-Chain-Management. In Deutschland hat das Thema gegenwärtig, bedingt durch den Jahrtausendwechsel, noch eine gewisse Bremse. Viele Unternehmen sind aktuell sehr damit beschäftigt, ihre DV Jahr-2000-fähig zu gestalten. Ein weiteres drängendes Thema ist der Euro. Hier geht es für die Firmen um das nackte Überleben. Es gibt Schätzungen darüber, dass ca. 15 Prozent der mittelständischen Unternehmen zur Zeit noch enorme Probleme haben, überhaupt das Jahr 2000 zu erreichen.

 ____ Wie ordnet sich Ihr SCM-Engagement in die Gesamtstrategie ein?

Engel: Wenn man das Thema lediglich von den aktuellen Umsatzzahlen her betrachtet, wird man strategischen Unternehmenszielen nicht gerecht. Man muss das Thema auch von der Positionierung für die Zukunft her sehen. Supply-Chain-Management ist gegenwärtig ein Bereich, in den wir noch investieren. Für die Zukunft gehen wir davon aus, dass dieser Bereich sehr attraktiv ist und wir hier eine Führungsrolle einnehmen können. Wir positionieren unser Supply-Chain-Management-Programm jetzt, weil wir davon überzeugt sind, dass das Thema spätestens im Jahr 2001 enorm explodiert.

Veröffentlicht in: Fördermittel Journal

© Harald Lutz 1998
 

 


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