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Goodyear Europa:

APO-Tool beflügelt Logistik-Kette

Nicht nur bei den eigenen Produkten bestimmt High-Tech das Bild: Die europäische Konzerneinheit des Reifen- und Kautschukherstellers Goodyear gehört zu den ersten Pilotkunden des von der SAP AG entwickelten Supply-Chain-Management (SCM)-Produkts Advanced Planner and Optimizer (APO), an dem die IDS Scheer AG als Entwicklungspartner beteiligt ist. Im Spätherbst vergangenen Jahres ging die neue SCM-Software, die auf einem Server im deutschen Werk Philippsburg installiert wurde, europaweit produktiv. Intern wurde das Projekt Philipsburg zwischen beiden Softwarehäusern aufgeteilt. Den Beratungsteil übernahm IDS Scheer, für die Programmierung war die SAP zuständig.

Foto: Goodyear

„Wir haben uns zunächst mit dem Thema SAP-Einführung auseinander gesetzt“, erläutert Jürgen Herb, Manager Logistics Applications & Systems bei Goodyear Deutschland, die Anfänge des SCM-Projekts. Im ersten Schritt galt es, die DV-Altsysteme abzulösen und sie durch das System R/3 zu ersetzen. Als ein Manko erwies sich bei der Installation, dass aufgrund technischer Gegebenheiten europaweit gleich drei unabhängige Systeme implementiert werden mussten.

Der traditionelle MRP-Lauf, auf dem alle gängigen ERP-Systeme beruhen, kann nicht über mehrere Systeme hinweg geführt werden. Ein Datenaustausch ist nicht möglich. Auch Lieferszenarien lassen sich nicht systemübergreifend abbilden. Herb: „Da wir aber europäische Bestände und eine europäische Planung haben, brauchten wir ein Werkzeug, das genau dies kann.“

An diesen Defiziten setzt moderne Supply-Chain-Management-Software an:

 

Der Fokus liegt nicht mehr auf einem Unternehmen, sondern auf der firmenübergreifenden logistischen Kette. Demzufolge wird auch Datenaustausch über mehrere R/3-Systeme möglich.

 

Aufgrund moderner APS-Technologie erhält das Management die Planungsergebnisse in Minutenschnelle. Bewährte PPS- oder ERP-Systeme benötigen für ihre Planungszyklen i. d. R. mehrere Tage oder Wochen.

 

SCM-Software ermöglicht das Planen gegen begrenzte Kapazitäten. Im Vergleich dazu nimmt herkömmliche ERP-Software beispielsweise in der Produktion eine realistische Durchlaufterminierung nur nach Maßgabe eines einzelnen Auftrages vor. Das heißt, die Systeme berücksichtigen nicht, dass evtl. noch 100 andere Aufträge zum gleichen Zeitpunkt auf dieselbe Maschine zugreifen.



Ausgiebige Vergleiche...

„Nachdem wir uns 1997 entschieden hatten, neben dem System R/3 zusätzlich eine SCM-Software anzuschaffen, haben wir uns ausgiebig mit den bereits vorhandenen Produkten am Markt befasst“, erläutert Herb den Entscheidungsfindungsprozess für das APO-Tool. Im Hause Goodyear wurde ein 50-seitiger Vergleich zwischen den bereits existierenden Lösungen und den - zu diesem Zeitpunkt erst angekündigten - neuen SAP-Funktionalitäten geschrieben. Herb: „Für uns war relativ schnell klar, wo die konkreten Vorzüge des APO-Konzepts liegen, wie z.B. in den neuen Möglichkeiten strategischer Planung, der Integration mehrerer R/3-Systeme und den zu erwartenden Abfrageergebnissen im Echtzeitbetrieb.“ Dazu kam, dass das Unternehmen bereits positive Erfahrungen als SAP-Pilotkunde mit anderen Softwarekomponenten gesammelt hatte.

Vor diesem Hintergrund wurde Goodyear Europa im Juli 1998 von den Walldorfern zu einem der ersten Pilotkunden für die APO-Komponente ausgewählt. Zu diesem Zeitpunkt gab es lediglich eine erste Vorversion. Anfang 1999 wurde damit begonnen, den Advanced Planner and Optimizer im Produktionswerk Philippsburg in der Version 1.0 zu implementieren. Herb: „Teilbereiche sind im Juli/August 'live gegangen'. Integriert live auf allen drei europäischen SAP R/3-Systemen sind wir seit dem 27. Oktober vergangenen Jahres.“

Vier Module

Das APO-Tool wurde in Philippsburg auf einem Windows NT-Rechner in größtmöglicher Ausbaustufe mit vier Prozessoren und vier Gigabyte RAM installiert. Der Windows NT-Server ist angebunden an die drei europäischen R/3-Systeme, die bei Goodyear unter dem Betriebssystem UNIX laufen. Das APO-Produkt selbst besteht aus vier verschiedenen Modulen:

1. Demand Planning (DP). Mit diesem Werkzeug werden die klassischen Verkaufsschätzungen abgebildet.
2. Supply Network Planning (SNP). Darunter versteht man das klassische Distribution Resource Planning, worunter auch die MRP-Funktionalitäten fallen.
3. Production Planning and Detail Scheduling (PP/DS). Im Prinzip sind dies die klassischen PPS-Funktionalitäten, die aus R/3 herausgezogen und in APO hineinverlagert wurden.
4. das Integrationstool Available to Promise (ATP) für eine erweiterte Verfügbarkeitsprüfung. Bei der Goodyear-Installation kommt überwiegend das Modul Supply Network Planning zum Tragen. Herb: „Wir haben alle APO-Module installiert, nutzen aber nicht sämtliche Funktionalitäten.“

Besonders wichtig: APO ist als eigenständiges Produkt konzipiert und benötigt nicht das System R/3 als Voraussetzung. Die SCM-Software tauscht auch mit anderen ERP- oder PPS-Systemen Daten aus. Auch beim Reifen- und Kautschukkonzern wurde APO an ein noch in Betrieb befindliches Altsystem angeschlossen. Herb: „Natürlich sind R/3-Systeme von Vorteil, weil nur sie in dieser Konstellation das Echtzeit-Interface realisieren können.“

Verloren gegangene Integration wiederhergestellt

Bei Goodyear in Philippsburg ist man mit der neuen SCM-Software hochzufrieden: Wichtig sei vor allem, dass die mit der System R/3-Einführung „verloren gegangene“ Integration mit APO wieder hergestellt wurde. Herb: „Wir können jetzt Supply-Chain-Management integriert über mehrere R/3-Systeme betreiben.“ Goodyear könne alle europäischen Produktions- und Bestandsstrategien über sämtliche Werke integriert auf einem System realisieren und optimieren.

Die Vorteile einer modernen Supply-Chain-Management-Software machen sich auch finanziell bemerkbar: So konnte der Reifenhersteller in den ersten Wochen alleine über die neue Transparenz, d.h. die Darstellung von Zahlen im Bereich Aufträge, Rückstände und Bestände über die europäischen Systeme hinweg zusätzliche 4.000 Reifenverkäufe realisieren. Herb: „Ohne APO hätten wir diese Bestände nicht verkaufen können. Sie standen an der falschen Stelle und waren nicht transparent.“ Über die ERP- und Altsysteme alleine wären diese brachliegenden Ressourcen erst wieder im nächsten Planungszyklus beachtet worden. Mittels des APO-Tools kann das Unternehmen heute sehr viel schneller planen und alle gängigen Prozesse nahezu in Echtzeit einsehen.

Alles in allem rechnet man bei Goodyear mit einem bis zu 50 Prozent verbesserten Return on Investment im Vergleich zu üblichen Planungssystemen. Herb: „Wir gehen davon aus, dass sich unsere Projektkosten innerhalb eines halben Jahres amortisiert haben. Allerdings haben wir als Pilotkunde auch Preisvorteile.“ „Mit der Einführung von APO haben wir einen ersten Schritt gemacht. Wir werden uns noch über Monate, wenn nicht über Jahre, mit dem Thema Supply-Chain-Management beschäftigen müssen,“ warnt der Projektleiter allerdings auch vor zu großer Euphorie. Mit der SCM-Software sei vor allem die Basis geschaffen worden, um mit einem kontinuierlichen Reengineering aller Geschäftsprozesse zu beginnen.

Veröffentlicht in: „Computerwoche“

© Harald Lutz 2000
 


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